INFOS
ARTIST
RELEASE DATE
12.02.2021
CATALOGUE NO.
GRCD/LP 1018
TRACKLIST
Es geht mir gut
Prost mein Schatz
Heile Welt
Denk was du willst
Und die bin ich
Wenn ich ein Junge wäre (Ich will nicht lächeln)
So schön wie heute
Ciao Bella
Klischee
Wünsch mir Glück
Casanova
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Story
Es beginnt mit einem „Gute-Laune-Song mit leicht bitterem Nachgeschmack“. So sagen es die Künstlerinnen selbst sehr treffend über den Opener ihres zweiten Albums und benennen damit zugleich eine Spezialität des Hauses Steiner & Madlaina – denn genau diese Geschmacksrichtung können sie perfekt zubereiten. „Es geht mir gut“ wird zu Weißweinschorle bei 40 Grad im Schatten gereicht, ein Chor säuselt, ein entspannt groovender Rocksong streckt sich gemächlich aus, und die beiden Schweizerinnen schmieren einem spätestens im Refrain das schlechte Gewissen unwiderstehlich wie nicht mehr ganz frische Erdbeermarmelade aufs Brot: „Wie Leonce und Lena steht uns Langeweile gut / Uns ist total bewusst, was rundherum der Mensch so tut / Zu faul für jegliche Debatten / Bleib ich bei vierzig Grad im Schatten.“ Eine ihrer Stärken kommt schon hier zum Tragen: Nora Steiner und Madlaina Pollina sind viel zu schlau, um sich mit fuchtelnden Zeigefingern als Gutmenschen zu inszenieren, sondern demontieren sich mit gut abgeschmeckter Selbstironie und schmerzhaften Wahrheiten selbst gleich mit, bis sie in einer letzten Umarmung ganz richtig feststellen: „Wenn wir alle Lust drauf hätten, könnten wir die Welt noch retten.“ Autsch.
Aber der Reihe nach: Wer Nora Steiner und Madlaina Pollina in den vergangenen Jahren mal live gesehen hat – zum Beispiel auf ihren langen Touren, auf dem Southside / Hurricane Festival oder auf dem Lollapalooza – der müsste ihren Live-Qualitäten, ihrem Charisma, ihren Stimmen und nicht zuletzt ihren Songs bereits erlegen sein. Und das dürfte mittlerweile einigen passiert sein, denn die beiden haben den alten Mythos des „Hochspielens“ ernst genommen und in den letzten Jahren über 150 Konzerte abgerissen, davon allein 110 im letzten Jahr – was rein rechnerisch alle drei Tage ein Konzert bedeutet. Die beiden Musikerinnen und Songwriterinnen kennen sich dabei seit Schultagen in ihrer Heimat Zürich – und genau das ist es, was man bei jeder Performance spürt. Außerdem stehen sie seit Teenagertagen auf Bühnen, Holzkästen, Festivalwiesen, in Hinterhöfen, in „Dönerläden vor fünf motzenden Gästen“ wie Nora sich lachend erinnert oder seit ein paar Jahren auch immer wieder im Studio. 2015 erschien ihre erste EP „Ready To Climb“. Fünf Lieder, vier auf Englisch eines auf Deutsch. Dunkler Folk, der auf Gitarre, Klavier und den Gesang der beiden setzte. 2018 kam das Debüt „Cheers“, das überwiegend deutsche Lieder mit einer Handvoll englischer und dem wundervollen „Herz vorus id Wand“ auf Schwyzerdütsch mischte. Das Label ihres Vertrauens schon damals: Glitterhouse Records. Eine gar nicht so ungewöhnliche Wahl, denn neben Americana-Größen wie Spain oder The Walkabouts veröffentlichen zum Beispiel auch Die Nerven ihre Alben bei der Institution in Beverungen. „Cheers“ war schon eine dieser Platten, die manch einen hart beeindruckten. Den Autor dieser Zeilen zum Beispiel. Allein das abgründige Liebes-Duell „Wenn du mir glaubst“ oder die bissige Hymne „Das schöne Leben“ waren so perfekt getextet, dass man gar nicht glauben wollte, hier ein Debütalbum vor sich zu haben. Dazu klangen die beiden Frauen Mitte zwanzig auf eine Weise verschmitzt, cool, kämpferisch, angetrunken und weise, als hätten sie schon im Gaslight Café im New York der 60er gesessen, in Seattle mit Layne und Kurt abgehangen, mit Kim Gordon Kunst gemacht und mindestens einmal Paul Westerberg oder Shane MacGowan unter den Tisch getrunken. Geht natürlich rein rechnerisch nicht auf, aber verdammt, so muss es gewesen sein!
In Wahrheit geht die Geschichte eher so. Madlaina erzählt: „Ich bin mit dem Musikmachen aufgewachsen. Bei uns stand immer eine Gitarre rum, und ich habe mich schon als Kind ganz selbstverständlich als Klavier gesetzt.“ Was nicht verwundert, wenn man aus der Familie Pollina stammt. Aber: „Das Musikmachen war immer vom -schreiben getrennt. Ich habe erst mit elf angefangen, Texte und Gedichte zu schreiben und dann irgendwann gemerkt, dass man das ja mit der Musik zusammenbringen könnte.“ Das passierte auf der Schule, auf der sie auch Nora kennenlernte. Diese erzählt über musikalischen Anfänge: „Mein Vorbild war meine große Schwester. Sie hat Gitarre gespielt, eigene Lieder geschrieben – und war deshalb die Größte für mich. Klar, dass ich wie sie sein wollte. Ich habe das auch versucht, war anfangs aber superschlecht darin – bis man dann auf der Schule gelernt hat, mit seiner Kreativität zu arbeiten und sich auch mit anderen austauschen konnte.“ Trotzdem, und das sagen beide, fast gleichzeitig: „Das größte musikalische Vertrauen haben wir beide untereinander.“
Nach den vielen Konzerten auf eigenen Touren, auf Festivals oder im Vorprogramm von Acts wie Faber und Element of Crime haben Steiner & Madlaina nun auf ihrem zweiten Album „Wünsch mir Glück“ ihre Sprache in Sound, Haltung und Wort gefunden. Und dabei fällt sofort auf: Alle Songs sind auf Deutsch getextet. „Geplant war das nicht unbedingt“, erzählt Madlaina, „das kam eher so raus. Wir wollten, dass die Texte mehr Gewicht bekommen und ich glaube, unsere Ansprüche an uns sind auch ein bisschen gewachsen. Die Songs auf Deutsch waren am Ende die besten.“Nora ergänzt: „Es hatte natürlich Einfluss, dass wir viel in Deutschland auf Tour waren, oft mit Bands, die nur auf Deutsch singen.” Ihr ganz eigener Umgang mit deutscher Sprache, aber auch ihr im besten Wortsinn europäischer, offener, kritischer Blick auf die Welt, resultiert auch aus der Tatsache, dass Madlaina einen halb-italienischem und Nora einen halbgriechischem Migrationsnhintergrund hat, beide also zweisprachig aufwuchsen, zudem in einem Land, das – wie Madlaina einmal sehr bissig singt – einen guten Stand hat „in der Welt / denn bei uns liegt ihr Geld.“ Nora stellt jedoch klar: „Dass wir diesmal komplett auf Deutsch singen, heißt nicht, dass in Zukunft nicht wieder alles möglich ist.“ Trotzdem eine gute Entscheidung, denn die elf deutschen Songs beweisen eindrücklich, dass die beiden lyrisch einen verdammt guten Lauf hatten. Dazu muss man wissen, dass Steiner & Madlaina ihre Songs jeweils alleine schreiben. Aber, so Nora: „Wir haben diesmal viel über die Texte und die Themen diskutiert während des Schreibprozesses.“ Und, so Madlaina: „Nora ist auch die einzige, die mir sagen darf, ‚an diese Zeile musst du nochmal ran.“ Ein wissendes Lachen auf der anderen Seite. „Das ist umgekehrt genauso“, sagt Nora. In Sachen Sound und Wucht hat sich ebenfalls ein wenig geändert: Denn auch wenn Steiner & Madlaina kreativ als Duo arbeiten, sind sie stolz auf „ihre Jungs“, bzw. ihre Live-Band, die ihnen auch im Studio zur Seite stand. Leonardo Guadarrama (Schlagzeug), Nico Sörensen (Bass) und Max Kämmerling (E-Gitarre) spielten unter Leitung von Nora und Madlaina die Songs live im Studio ein. Sehr dynamisch eingefangen wurde das von Produzent Alex Sprave, der schon bei „Cheers“ am Start war. Indie-Folk und der oft verschmelzende Gesang der beiden bilden zwar nach wie vor die Basis, aber das bluesige „… und die bin ich“ oder das wütende „Wenn ich ein Junge wäre (ich will nicht lächeln)“ erweitern ihre Klangfarbe sehr schlüssig.
Man könnte jetzt jeden der elf Songs erstaunt und fasziniert sezieren, aber das würde vielleicht den Rahmen sprengen. Deshalb stellvertretend – und damit für die Musikjournaille noch Arbeit bleibt – zwei Songs, die man als Schlüsselstücke sehen könnte. Die erste, von Nora geschrieben Single „Wenn ich ein Junge wäre…“ zum Beispiel. Da hört man Wut, wuchtige Drums und breitkreuzig klingende Gitarren, oder wie Madlaina es sehr treffend beschreibt: „Wenn Noras Gitarre reinplatzt, klingt das wie der erste Auftritt des Bösewichts in einer Comicverfilmung.“„Der Song ist aus einer großen inneren Wut und Frustration entstanden, deswegen habe ich bewusst nicht darauf geachtet, ihn sprachlich zu verschönern“, erklärt Nora dazu. Und singt zum Beispiel: „Ich muss nichts beweisen, kenn mich auch mit Technik aus. Ich weiß ganz genau, was ich nicht will und was ich brauch.“ So weit, so Wut – was dem Song aber den Twist gibt, der sich auch in den Kopf eines jeden Indie Boys drehen wird, ist der Refrain: „Wenn ich ein Junge wäre, würde man mir mehr zutrauen? Wer bestimmt das Rollenbild der Frauen? Wenn ich ein Junge wäre eine ganze Woche lang, wüsste ich, ob man Dinge schneller ändern kann?“ Nora sagt dazu: „Als Frau werde ich ständig von Männern belächelt, verbessert und weniger ernst genommen. Was soll das?“ Madlaina ergänzt: „Das Lied ist zwar trotzig und wütend, aber es soll jeden, der es hört, in erster Linie einladen, mal zu überlegen, wie weit man selbst Teil des Problems ist. Man könnte sagen, dass das ein wenig das Leitmotiv des ganzen Albums geworden ist, weil wir auch bei anderen Themen immer wieder zu dieser Einsicht kommen.“
Und damit sind wir schon beim Lied „Heile Welt“, das – so Madlaina – „aus tiefster Resignation entstanden ist. Die Welt, die sich der Mensch gemacht hat, ist grausam, und wenn man Mensch ist, ist man automatisch Teil dieses grauenhaften Systems.“ Mit diesem Song habe sie am härtesten und längsten gekämpft, erzählt sie. Was einen fast beruhigt – denn wären diese grollenden, dunklen Reime locker aus dem Handgelenk gepurzelt, hätte man ja schon fast Angst bekommen. „Wer Augen hat / Hat Augen gemacht / Als gestern Nacht / Die Welt gekracht / Hat leise geweint / Weil er weiss was das heisst / Dass die heutige Zeit / Die Menschheit entzweit.“ Das sitzt, das schmerzt, das ritzt an den fiesen Stellen in die eigene Haut, was durch den Refrain noch schlimmer wird: „Damit unsere heile Welt / noch eine Weile hält / halten wir uns raus / nur so fühlen wir uns Zuhaus.“
Der Humor, der genaue Blick auf die eigene Generation und der sezierte Herzschmerz ist Steiner & Madlaina dabei aber nicht abhanden gekommen. Es gibt das vielleicht beste Trennungslied des Jahres „Prost mein Schatz“, das Madlaina erst vollenden konnte, als sie auch die besungene Trennung vollendet hatte – wer ganz genau hin hört, kann den Moment der Trennung sogar in Echtzeit spüren. Es gibt die pointierte Beobachtung der Leiden der Generation Y, „So schön wie heute“, es gibt das böse „Ciao Bella“, bei dem aus der Position eines vermeintlich feministischen Chauvies gesungen wird, und es gibt das „I Want Some Sugar In My Bowl“ der „Generation Indie“ – „Denk was du willst“ – ein Song, der lasziv, intelligent, feministisch und selbstbestimmt von gutem Sex handelt, der manchmal nichts mit Liebe zu tun haben muss und der vom Blumenbeet auch direkt in die Abgründe führen darf, die beide erkunden wollen. Und es gibt die unmögliche Liebesgeschichte „Wünsch mir Glück“, über eine Liebe, die so schmerzhaft wird, dass nur noch die Hoffnung bleibt, man möge bald aufhören zu lieben. Als Albentitel machen die Worte „Wünsch mir Glück“ dann noch einen bunten Blumenstrauß weiterer Bedeutungsebenen auf. Man könnte sie als motivieren Appell der Künstlerinnen selbst lesen, die neben einem guten Album in diesem Business eben auch ein wenig Glück brauchen. Oder man könnte den Titel mit Blick auf die politischen Stücke als trotziges „Wünsch mir Glück“ einer jungen Generation verstehen, die auf die alten Motzköppe schaut, die unsere Umwelt mit fetten SUVs gegen die Wand fahren.
Und das schöne dabei: Diese komplette Bandbreite kann man schon bei einem Blick auf das grandiose Cover ausmachen. Die junge Dame mit dem breiten Grinsen und dem ausgeschlagenen Zahn ist übrigens Anna (und es geht ihr gut), Freundin und Live-Fotografin der beiden. Madlaina erzählt: „Ich habe das Bild auf einem alten Film gefunden und fand es so toll, dass ich es eine Weile als Handy-Bildschirm benutzt habe. Sie ist damals vom Fahrrad gefallen und hat sich den Zahn ausgeschlagen. Dieses Grinsen von ihr musste ich einfach fotografieren. Als wir dann wussten, dass wir das Album ‚Wünsch mir Glück‘ nennen, meinten Nora und eigentlich unser ganzes Team: ‚Hey, das ist doch unser Cover!‘“ Das Artwork und auch die Motive für die Singles wurden dann darum herum arrangiert.
Tja, bleibt an dieser Stelle also nur noch, all den Lesenden hier dieses Album in seiner Gänze ans Herz zu legen – und den beiden an dieser Stelle eine große Karriere an den Hals zu wünschen. Denn wer wie Steiner & Madlaina seit frühen Jahren so hart an seiner Kunst arbeitet, wer es schafft mit oft einfachen Worten solch komplexe Themen und Gefühle auszuloten, wer dabei auch noch einen mal grimmigen, mal liebevollen, aber nie abgehobenen Humor an den Tag legt – und wer dann auch noch so verdammt gut singen kann und so dermaßen tolle Konzerte spielt, der hat alle Radio-Unterstützung und jede Titelstory des Landes verdient. Meine Meinung.
– Daniel Koch