Die Nerven

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„SPÄTESTENS NACH IHREM FÜNFTEN, NACH DER GRUPPE BENANNTEN ALBUM SOLLTE MAN SIE ZU DEN WICHTIGSTEN BANDS AUS DEUTSCHLAND ZÄHLEN – GLEICH NEBEN BLUMFELD, TOCOTRONIC UND TON STEINE SCHERBEN.“ – VISIONS MAGAZIN

INFOS


ARTIST

DIE NERVEN

RELEASE DATE

07.10.2022


CATALOGUE NR.

GRLP/CD/DIGITAL 1080

TRACKLIST


Credits:

Recorded & engineered by: Ingo Krauss & Moses Schneider at Candy Bomber Studio Berlin.

Europa
Ich sterbe jeden Tag in Deutschland
keine Bewegung
Alles Reguliert sich selbst
Ganz egal
Ein Influencer weint sich in den Schlaf
Der Erde gleich
15 Sekunden
Ein Tag

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Story


Wie entscheidet man eigentlich, im Laufe einer Karriere ein Album mit dem eigenen Bandnamen zu betiteln? Und warum ist dieses fünfte (offizielle) Studioalbum von DIE NERVEN dann auch noch ihr erklärt schwarzes Album? Weil es wie ein Monolith dastehen wird, in der Tradition der schwarzen Alben von Metallica, Jay-Z und Prince? Das wird die Zeit zeigen. Titel und Farbe markieren jedoch ganz unmissverständlich: DIE NERVEN von DIE NERVEN ist für Kevin Kuhn (Schlagzeug), Julian Knoth (Bass und Gesang) und Max Rieger (Gitarre und Gesang), die 2010 mit einer Explosion in die Stuttgarter Noise-Szene sprengten und sich in den letzten zwölf Jahren zu einer der profiliertesten Rockbands des Landes entwickelt haben, ihr bisher wichtigstes Album …

Der lang erspielte Kontrastreichtum der Band hat auf DIE NERVEN zu einer Form gefunden, die sich nicht mehr länger aus einem Spannungsverhältnis nährt. Hier manifestiert sich vielmehr das Resultat einer der fruchtbarsten Symbiosen der jüngeren Rockgeschichte. DIE NERVEN ist eine zehn Songs dauernde, schweißtreibende Feier der kreativen Kraft von Rieger, Knoth und Kuhn. Sie haben zu einem neuen Dialog gefunden. Wirkten im bisherigen Songwriting äußerst ausgeprägte Egos manchmal auch gegeneinander, forderten Rieger, Knoth und Kuhn nun geradezu vom jeweils anderen ein, sich in seiner extremen Eigenart einzubringen. Es herrscht keine Konkurrenz mehr. Aus drei Egos ist ein gemeinsames Ego geworden. Es heißt: DIE NERVEN. So steht das Ungeschliffene, das in seiner gewaltigen Brachialität noch immer von Punk getrieben wird, dem Pop nicht entgegen, sondern verbindet sich mit ihm: Die gegensätzlichen Pole bei DIE NERVEN haben zu einer eigenen Form der Verschmelzung gefunden. Sie spielen auf einem neuen Niveau zusammen, dienen nur noch dem Song. Bisweilen muss man sogar genau hinhören, wer da nun gerade singt.

Für 1 ½ Jahre gab es dabei zum ersten Mal in der Geschichte von DIE NERVEN, die ja bekanntlich niemals proben, einen Raum, in dem sich die drei Musiker regelmäßig trafen, um ihre Stücke zu entwickeln. Hieß es früher: zehn Skizzen fürs Studio und die Hoffnung, dass dort ein elftes Stück entsteht, war hier die Devise: 20 ausgereifte Songs, von denen sich zehn beweisen müssen. Vielleicht lag darin auch die Kompensation der Live-Situation, die in der Pandemie wegbrach und somit nicht zum Ursprung eines Albums werden konnte. Vielleicht hat die Zwangspause von den Bühnen der Band gutgetan, zu einer Verjüngung geführt, die gleichzeitig an Reife gewinnen ließ. Zehn aus 20 Stücken also waren schließlich übrig, als die drei dann in die Berliner Candy Bomber-Studios gingen, um ihre Songs – irgendwo zwischen den zwinkernden Referenzpunkten Rammstein, Godspeed You! Black Emperor und, ja: (Max Rieger:) “Wagner!“ live einzuspielen. Ohne Klick, gemeinsam, gleichzeitig: DIE NERVEN, Gefühl und Organismus. Die Gesangsaufnahmen besorgte Moses Schneider, und Max Rieger, mittlerweile einer der gefragtesten Produzenten des Landes, mischte sich vier Monate die Finger wund, weil er meanwhile einen Anspruch an dieses Monster entwickelt hatte, den er niemand anders mehr zumuten konnte.

Ein schwarzes Album also, selbstbetitelt. Kein Wolf ziert das Cover, nein: ein schwarzer Schäferhund vor schwarzem Grund. DIE NERVEN ist auch ein Stimmungsbild. Und in der konsequenten Wortschatzverkleinerung ihrer Texte, die vage genug bleiben, um in der chaotischen Komplexität der Gegenwart Impulse zu setzen, ist die Musik auch Sprachrohr für ein Unbehagen geworden, mit dem man sich in jedem ihrer Stücke identifizieren kann: DIE NERVEN, das sind zehn in Form und Inhalt vollendete Gegenwartsbetrachtungen mit Schaum vor dem Mund, die schließlich als vereinfachte Erzählungen mit Edding auf ein weißes T-Shirt geschrieben werden, so dass die Farbe durchdrückt und sich auf der zwischen Wut und Angst aufgebracht pumpenden Brust verewigt: EUROPA und ICH STERBE JEDEN TAG IN DEUTSCHLAND – wie alle Texte 2018/19 entstanden und somit irritierend visionär – offenbaren DIE NERVEN als Teil einer behüteten Generation, die zu ahnen beginnt, dass ihr noch ganz andere Zeiten bevorstehen, und dass das erlebte Leid der Anderen untrennbar mit den eigenen Privilegien zusammenhängt. Deshalb: KEINE BEWEGUNG; vielmehr: Passivität und Ohnmacht ob der sich zuspitzenden Zustände, konterkariert durch die Wucht des Songs! ALLES REGULIERT SICH SELBST entlarvt den Slogan als Lüge, macht das Kippmoment ins unausweichliche Chaos spürbar. GANZ EGAL erzählt sardonisch von der Sattheit einer Generation und vertont die Energie einer Auflehnung gegen diesen Zustand. Im Perspektivwechsel dann erleben wir – mit einem gewissen Zynismus erzählt –, wie die bis hierhin gewonnenen Erkenntnisse die Sozialen Medien überfordern und in ihnen eine übelschmeckende, narzisstische Dekadenz aufdecken: EIN INFLUENCER WEINT SICH IN DEN SCHLAF. Am anderen Ende werden wir ganz unabwendbar DER ERDE GLEICH – und der Existentialismus, der DIE NERVEN stets getrieben hat, findet zu einer gewaltigen Songkraft. Hieß es vor acht Jahren Nur für eine Minute schweben (Eine Minute schweben: FUN, Fin Du Monde/TCM 2014), dreht sich die Welt seit dem noch um einiges schneller: 15 SEKUNDEN sind nicht EIN TAG, und doch erzählen diese beiden Stücke gemeinsam von der Absurdität und Grausamkeit des späten Kapitalismus, ergänzen sich in Wut und Melancholie. 180° dann scheint sich zu guter Letzt auch um die eigene Achse zu drehen, blickt zurück auf das in den letzten 40 Minuten Vorausgegangene und manifestiert die Themen dieser schmerzhaften, ehrlichen und heftigen Platte: eine Gegenwartsbeschreibung – vom Anfang vom Ende! Baby, setz‘ den Wagen an die Wand …

Außerdem lieben DIE NERVEN Mark Hollis (und ich auch). – Hendrik Otremba

Fähigkeiten

Gepostet am

10. August 2023